Okra


Choreography: Zina Vaessen / Dance: Maria Teresa Tanzarella, Sandra Hanschitz, Simone Detig,
Outside eye: Belinda Winkelmann and Dagny Borsdorf / Music: Adrian Rennertz
Light: Holger Schütze / Photo: Anja Köhne / Production: OFFSPACE / Staging: Dock 4 Halle Kassel and Südufer Freiburg, February 2018
Duration: 50 minutes 




Das abendfüllende Tanzstück Okra, performt von den drei Tänzerinnen Maria Teresa Tanzarella, Sandra Hanschitz und Simone Detig, ist eine Auseinandersetzung mit Bildern. Bilder, die sich aus dem Kontext eines zeitgenössischen Tanz -und Choreografieverständis speisen, das sich im Theaterraum mittels Gesten und einer gewissen Affinität zum Minimalismus, zeigt. Das Stück gleicht einem Strom vieler, vorbeiziehender Bilder. Ausgangspunkt der Arbeit war die Frage, wie wir Tanz und ganz allgemein ein Bühnengeschehen lesen - wie wir schauen, wenn wir schauen. Ausgehend von zehn Handzeichen und fünf Körperpositionen, die ineinander geschnitten, überlagert und gedehnt werden, entstehen Momente, in denen ein Bild viele weitere - teilweise auch sich stark abgrenzend zum Bild davor heraufbeschwört. Okra übt sich darin Erlebnisse und Bewegungen in ihrer Namenlosigkeit und „Nichtzuortbarkeit“ stehen zu lassen. 


Wenn ich ein Tanzstück sehe, beschäftigt mich stets die Frage, was für ein Körperkonzept und Definition von Tanz der/die Choreograf*in in der Arbeit entwickelt. Um fassen zu können, was mich am Tanz fasziniert und wie ich mit dem Körper arbeiten will, entwickelte ich im Laufe des letzten Jahres den Begriff des „Offenen Bildes“. „Offene Bilder“ sind für mich Momente, in denen eine Bewegung an etwas Konkretes erinnert, aber nicht „nur“ auf dieses Konkrete verweisen will, sondern im Kern auf die leibliche Materialität dieser konkreten Bewegung hinweist. Die mögliche „Bedeutung“ der Bewegung, wird mit einem Augenzwinkern beachtet. Dieses Augenzwinkern entsteht aus der Einsicht, dass wir Menschen den symbolischen Blick nie ganz hinter uns lassen können. Siehe auch die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte, die davon ausgeht, dass die Wahrnehmung ein performativer Prozess ist, der stets zwischen einem symbolhaften Lesen und einem phänomenologischen Erleben hin und her pendelt.

Anhand des Konzepts der „Offenen Bilder“ entwickelte ich in meinem letzten Stück „Okra“ eine Bewegungspraxis, die die Bewegungssprache des Stückes definiert und die sich durch das komplette Stück hindurch zieht. Gleichzeitig sind die „Offenen Bilder“ auch Inhalt des Stückes. Die Bewegungspraxis besteht darin, dass die Tänzerinnen eine konkrete Geste oder Bewegungshandlung bestimmen (in „Okra“ sind es 10 Handzeichen und 10 Körperhaltungen, die sofort als Codes erkannt werden) und „darum herum zirkeln“. Die eigentliche Geste darf nicht ausgeführt werden. Das Spiel besteht darin, sich der Geste anzunähern und sich wieder von ihr zu entfernen. Man kann auch von Konkretisierung und Abstrahierung sprechen. Ich nenne das auch „Never quite there“.

In „Okra“ gibt es eine Weiterentwicklung der „Offenen Bilder“, indem ich die Handzeichen und Körperhaltungen „übereinanderlege“. Das heisst, die Tänzerinnen führen zwei verschiedene, konkrete Bewegungshandlungen zur selben Zeit aus, wodurch sich zwei Bilder „übereinander lagern“ oder „ineinander geschnitten werden“, so dass sehr seltsame Bilder entstehen und mehrere Verweise auf verschiedene konkrete Bewegungshandlungen gleichzeitig gemacht werden oder auf gar nichts mehr verweisen und „abstrakt“ wirken.
Durch das Spiel mit den Verweisen und gleichzeitiger Betonung der Materialität der Codes,  stellte die Arbeit für mich auch eine Art Gespräch mit den Zuschauern her, die stets eine Story suchen, wenn sie ein Tanzstück sehen. Da die Bilder, ganz klar nicht zur narrativen Interpretation frei gegeben werden und trotzdem konstant Assoziationen und Bildketten provozieren, wird für mich das Betrachten von Tanz an sich zum Thema.


︎ Video


The full-length evening dance piece Okra, performed by the three dancers Maria Teresa Tanzarella, Sandra Hanschitz, and Simone Detig, is a debate on pictures. Pictures that are nurtured by the context of contemporary dance and choreography and that are put at display through gestures. The piece resembles a stream of multiple, fleeing pictures. The departure point of this work was the question how we read dance and actions on stage in general – how we watch when we watch. Taking off from 10 hand gestures and five body positions that are cut into one and another, juxtaposed and stretched. Through these actions moments emerge where a picture evokes numerous other pictures – pictures that at times also stand in opposition to each other. Okra lets lived experiences and movements stand in their namelessness and non-assignability.