Selbstinterview zu einem geteilten Solo
Zina 2: Was ist ein geteiltes Solo?
Zina 1: Ein Solo wird ja normalerweise von einer Person getanzt. Diese
Person kann der Autor des Werkes sein oder einfach das Werk einer anderen
Person interpretieren. Manchmal wird ein Solo auf eine andere Person übertragen,
wenn sich das Solo zum Beispiel zu einem Repertoire-Stück entwickelt und die UrheberIn des Stückes tot ist und das Solo selbst nicht mehr tanzen kann. Was es
auch gibt, ist, dass ein Solo durch mehrere TänzerInnen besetzt wird, um es an
verschiedenen Orten und Zeiten gleichzeitig aufführen zu können. Aber ein Solo
das abwechselnd von gleich mehreren TänzerInnen getanzt wird, die sich das Solo
wie eine Art Staffelstab weiterreichen, so dass das Solo weiterläuft, aber von
verschiedenen Körpern wechselweise interpretiert wird - davon habe ich ehrlich
gesagt noch nie gehört und das ist, was wir im geteilten Solo versuchen.
Zina 2: Was treibt dich an, das Solo auf drei Körper aufzuteilen, außer
dass es noch nie gemacht wurde?
Zina 1: Mein Interesse für dieses geteilte Solo entspringt mehreren Quellen. Das Solo kam durch die
Pandemie, bei vielen KünstlerInnen wieder
auf. Als im ersten Lockdown alles stillgelegt wurde und wir weder andere
Menschen treffen durften noch rausgehen konnten, begann ich mit zwei anderen
Tänzerinnen im eigenen Studio zu arbeiten. Um Distanz zu wahren, zeigten wir
uns gegenseitig Soli und entwickelten dabei eine wunderschöne Solo Praxis. Was
wir uns zeigten, dauerte jeweils zwischen 3 -7 Minuten und war in dem Sinn
nicht spektakulär. Es ging nicht darum, die Anderen zu beeindrucken
oder zu unterhalten. Jede von uns ging ihrem eigenen Interesse und den eigenen
spontanen Einfällen nach und komponierte im Moment ein kleines Stück, welches
die anderen bezeugten. Obwohl diese kurzen Soli objektiv nichts Besonderes
waren, verfolgte ich das Geschehen immer total gespannt und war sehr berührt
von dem, was ich sah. Für mich generierten diese kurzen Soli ein richtiges Kunsterlebnis. Die Tatsache, dass wir durch den Lockdown nach Live-Performances
ausgehungert waren, trug sicherlich dazu bei, dass wir diese Soli als
ungeheuer spannend wahrnahmen. Trotzdem würde ich sagen, dass es nicht das
Ausgehungert sein an sich war, sondern eine Art des Zeuge-seins, eine Art des
Dabei-seins, des Mit-seins, die wir in diesen Umständen irgendwie entwickelten:
Die hohe Wachsamkeit und ein Betrachten, das nicht von Erwartungen beeinflusst
war, erzeugte eine Verbundenheit zwischen Performerin und
Zuschauerin, die es möglich machte, dass etwas passieren konnte, was für
alle wirklich relevant war.
Unsere Erkenntnis: Es gibt ein Band zwischen TänzerIn und BetrachterIn,
welches die Intensität des Geschehens bestimmt. Nicht allein, was da konkret
auf der Bühne passiert- wie spektakulär der Tanz an sich ausfällt, kreiert
die Intensität zwischen PerformerIn und BetrachterIn. Stücke, die “funktionieren”, erzeugen auf jeweils
unterschiedliche Weise ein Band zwischen PerformerIn und Publikum. Bei uns war
es der intensive Wunsch, dabei zu sein, alles was die Performerin
machte, mitzubekommen und als Zeugin alles aufzusaugen. Im Versuch, die Praxis
des Zeuge-seins und dieses Band zwischen TänzerIn und Betrachtenden besser zu
verstehen und weiterzuentwickeln, stießen wir auf die Theorie des singular plural Sein von Jean-Luc Nancy. Für Jean-Luc Nancy ist das Sein immer ein Mit-sein.
Aus dieser Solo Praxis und dem Interesse für das Mit-sein entstand dann die
Idee, ein Solo in drei Körpern zu entwickeln.
Zina 2: Was habt ihr in den Proben und Recherchen, die ihr im Rahmen eurer
Residenz im Theater Roxy gemacht habt, entdecken und entwickeln können?
Zina 1: Im Versuch ein Solo zu gestalten, ein Solo, mit Betonung auf eins,
beschäftigten wir uns viel mit den Wechseln oder der Materialübergabe zwischen
den PerformerInnen. Wir sind mit zwei Fragen in die Recherchen
gegangen. Wie gestaltet sich das Teilen des Solos choreografisch? Und ist das
überhaupt spannend? Wieviel Ähnlichkeit, wieviel Differenz zwischen den
Körpern, der Bewegung, braucht es, um einen Tanz und nicht
drei oder hundert Tanz-Soli zu entwickeln?
Wir haben versucht herauszufinden, wie das Material weitergegeben werden
kann. Was unterschiedliche Raumorte und der Rhythmus der Materialübergaben
choreografisch für den Verlauf der Tanzhandlungen bedeuten. Also wie wir mit
Material umgehen, das war für uns wichtig zu verstehen. Was für ein Material
wir nutzen wollen, haben wir nur in Teilen erforschen können. Handelt es
sich um biografisches Material der TänzerInnen oder gebe ich als Choreografin
das Material vor - all das sind noch offene Fragen.
Klar aus den ersten Recherchen hervorgegangen ist: Wenn drei SolistInnen
sich ein Solo teilen, müssen sie, um gut an das, was die VorgängerIn gemacht
hat, anknüpfen zu können, das Geschehen stets verfolgen, auch wenn sie selbst
nicht im Rampenlicht stehen. Außerdem übernehmen die TänzerInnen stets etwas
von der Anderen auf, aber bringen sich als Person selbst auch mit ins Spiel. Es ist
beides. Von der Anderen etwas übernehmen, aber auch von sich etwas Preis geben.
Sie müssen allzeit wachsam sein. Jederzeit bereit einzuspringen, auf die Bühne
zu gehen. Sie müssen aber auch jeder Zeit bereit sein, wieder zu gehen. Sie
sind wichtig, aber nicht allein wichtig. Das Stück gehört ihnen, aber nicht
allein. Sie sind anders als die anderen, aber nicht besser und nicht
schlechter…Die Bedeutung UND Praxis des Teilens, inwiefern das Teilen
Gemeinschaftsstiftend, aber auch Konkurrenz ausschaltend/hemmend /fördernd
wirkt, kann hier ganz praktisch erforscht und erlebt werden. Nicht das
Individuum im luftleeren Raum. Sondern das Verhältnis zwischen Einzelnem und
Gruppe, Individuum und Gemeinschaft, all das zeigt sich in diesem Staffellauf.
Zina 2: Super. Ihr nehmt also das geteilte Solo als Ausgangspunkt, um das
Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft besser zu verstehen. Was ich auch spannend finde ist, dass ihr sagt: Differenz bzw.
Individualität “ja”, “unbedingt”, aber nicht mit der Konsequenz, dass der sich Hervorhebende
besser oder schlechter ist. Das ist toll. Denn oft schaffen wir Menschen es ja
nicht, die Differenzen neutral, ohne Wertung wahrzunehmen. Was sind andere Antriebsquellen für diese Arbeit?
Zina 1: Ein anderer Grund für das geteilte Solo ist mein Interesse an
klassischen Formen und mich an diesen abzuarbeiten. Formen, die die Menschheit
schon länger begleiten, wie zum Beispiel das griechische Drama, epische Sagen,
Formen, die sich aus dem Menschsein vielleicht einfach ergeben. Wenn ich eine
Form ein bisschen kenne, fange ich natürlich auch an, diese irgendwie ein
bisschen auflösen zu wollen. Diese Formen sind ja nicht real, im Sinne, dass sie
sich empirisch genau so verhalten, wie ihr Abstraktum es sagt. Nachdem ich mich
jetzt intensiver mit Soli beschäftige und mir einiges angeschaut habe, würde
ich zum Beispiel auch sagen, dass einige der Soli auf eine bestimmte weise, gar
keine Soli sind. So zum Beispiel bewirkt der Einbezug von Objekten und
Materialien oder des Publikums, dass da dann eben doch wieder eher zwei im Raum
sind und nicht nur einer.
Zina 2: Im Ankündigungstext zu eurem Showing im Theater Roxy steht:
“Vor dem Hintergrund, dass wir Viele und Vieles sind und dass wir nur durch
Andere und Anderes existieren, erforscht die Truppe Möglichkeiten, die
subjektive Position, von dem das traditionelle Solo stets ausgeht, durch
mehrere Tänzer*innen zu verkörpern. Ähnlich wie bei dem Spiel, bei dem eine
Person einen Kopf malt, das Blatt umknickt und jemand anderem weitergibt, diese
den Hals malt, das Blatt umknickt und weiter gibt..” Ein Solo auf mehrere
Körper aufteilen um einem postmodernen, feministischen Subjektverständnis, Rechenschaft
zu tragen. Davon hast du bis jetzt gar nichts gesagt.
Zina 1: Ja, meine intensive Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir das
Subjekt denken und wie das Subjekt in anderen Epochen gedacht wird, auch
philosophisch anders gedacht wird, begleitet diese Arbeit definitiv auch. Ich
glaube, dass die Subjektfrage, an die Frage des Bandes zwischen PerformerIn und
Publikum anknüpft. Aber der Hauptfokus liegt jetzt auf einer wirklich sehr
praktisch physisch erfahrbaren Handlung und zwar der des Teilens. Es geht darum
zu erfahren, wie es unserem Ich, im Prozess des Teilens jeweils ergeht. Wir
haben verdammt viel Schwierigkeiten etwas mit anderen zu teilen, einfach aus
dem einfachen Grund, dass wir uns mit dem was wir Besitzen so stark
identifizieren, dass wir Angst bekommen, nicht mehr zu existieren, wenn wir
diesen Besitz nicht alleine besitzen. Ich erlebe das ganz stark an mir selbst
und könnte unzählige Beispiele nennen, die den Zusammenhang zwischen Identität
und Eigentum hervorheben. Und diese Angst, nicht mehr zu existieren, weil man
nicht sagen kann „ich habe das gemacht“, „ich habe das gedacht“, „das ist meine
Idee“, „den Gedanken habe ich gehabt“, wenn mein Ich das alles nicht mehr sagen
kann, dann verschwindet dieses Ich, das ich mir gebaut habe und wir alle permanent
bauen, vielleicht tatsächlich ganz schnell und das macht natürlich Angst. Das
ist ja normal. Und es stellt sich natürlich die Frage, ob wir überhaupt
auf diese Art verschwinden wollen.
Zina 2: Ja, vielen Dank Zina 1. Ich hätte jetzt noch ein paar mehr Fragen
an dich gestellt und mit dir über dieses Subjekt gesprochen, das sein
Verhältnis zur Gesellschaft reflektiert und sein Einzeln sein auf sich nimmt,
wie Rüdiger Safranksi in seinem Buch “Einzel Sein” so schön sagt. Aber
vielleicht machen wir das ein anderes Mal.
Zina 1: Ja, lass uns ein ander Mal darüber sprechen. Danke auch dir für das Interview.
Im Rahmen einer ersten Recherche letzten Mai im Theater Roxy Birsfelden arbeiteten wir, das ist Ingo Keil, Charlotte Böttger, Seung Hwan Lee, Valtterie Keinänen am zerstückelten Ich.
Die erwähnte Solo-Praxis entwickelte sich in der Zusammenarbeit mit Julia Klockow, Luke Wilkins und Dagny Borsdorf. Ich danke Ihnen allen sehr. Ohne sie, würde es diese Arbeit nicht geben.